Martinique: Vom Haul-out zum Lockdown

Es ist der 20. Februar 2020, als wir St. Lucia verlassen und nach Norden segeln. Früher wurde Martinique von St. Lucia aus verwaltet, aber seit 1979 ist St. Lucia unabhängig; etliche französischen Namen sind allerdings geblieben: Piton, Soufriere, Anse sowie viele Ortsnamen. Auf der Überfahrt sind wir mal wieder mega erfolgreich: ein Mahi-Mahi und ein Barrakuda! Das reicht wieder für etliche Tage. 🙂

In Le Marin ist das Einklarieren easy: man setzt sich an den PC in der Capitainerie, tippt einfach sämtliche Daten vom Boot und der Crew ein, drückt auf ‚Drucken‘, zahlt (in unserem Fall) 10€ und bekommt ein unterschriebenes Zolldokument in die Hand gedrückt. Fertig. Es ist das erste Mal, dass niemand Unterlagen vom Boot sehen will. Normalerweise wird immer emsig kopiert, überprüft und gemacht und getan – nicht so auf Martinique. Einen Einreisestempel brauchen wir nicht, da wir in Europa einreisen. Wir sind im Außengebiet der EU und Gott sei dank gelten hier eigene Mehrwertsteuerbestimmungen, denn sonst müssten wir für MOCEAN auch noch die Mehrwertsteuer zahlen. Wir ankern am Ende der Lagune von Le Marin zwischen zwei Riffs vor dem Club Med, einem gut besuchten luxuriösen Resort, und kümmern uns um die nächsten Schritte.

Wir vereinbaren mit der Werft einen Termin für den Haul-out: am 5. März soll es soweit sein. Super, denken wir, während sich ein Virus namens SARS-CoV2 verbreitet. Wir mieten ein Auto bei Europcar in Le Marin und unternehmen einige Wanderungen: Morne Larcher, Canal des Esclaves, Savane des Pétrifications und Montagne Pelée (darauf gehe ich in einem folgenden Post näher ein).

Wir sehen sehr viele verschiedene Gesichter von Martinique: von trockener wüsten-/savannenartiger Landschaft bis zum üppigen Regenwald. Ich bin total begeistert und schleppe Alex einfach überall hin. Martinique eignet sich einfach hervorragend zum Wandern: es gibt unzählige Wanderwege, die sehr gut markiert sind und die man deshalb allein gehen kann. Die Regenwaldtouren mag ich am liebsten und kann  mich einfach nicht sattsehen. Wir schauen einem Karnevalsumzug in Saint Anne zu (er besteht aus zwei Lkw, wobei der eine eigentlich der Müllwagen ist, weshalb sich die Mülltüten der Segler an der Müllsammelstelle am Steg gerade stapeln).

Karneval in St. Anne

Am 29. Februar ist es soweit: das Equipment von CrazyFly ist in Fort-de-France angekommen! Wir sind total aufgeregt und Ivan fragt, ob wir alles bekommen hätten. Auch die Folding Propeller sind da – wir können alles auf einmal abholen. Großartig. Auch wenn die Verständigung (typisch Frankreich: es spricht ja kaum jemand Englisch, selbst wenn die Insel in der Karibik liegt) schwierig ist, mit UPS hat der Versand und die Abholung super funktioniert. Noch am späten Nachmittag testen wir zumindest die Boards:

Dann kommt der große Tag: MOCEAN soll rausgeholt werden. Um 15:00 Uhr ist unser bestätigter Termin. Ich schreibe sogar kurz vorher noch eine Mail an Jocelyne, wir stehen pünktlich im Wasser vor der Station, aber niemand ist da, um uns zu empfangen. Also warten wir… und warten …und warten. Schließlich rufe ich mal  über Telefon an (über Funk reagiert nämlich niemand) und erreiche nur eine gewisse Anne. Die erzählt mir, wir hätten gar keinen Termin. Und damit fängt der Ärger an. Ich werde sofort kreidebleich und verweise auf die mit Jocelyne ausgetauschten Mails. Anne kann nicht gut Englisch sprechen und ich verstehe sie nicht gut. Was ich aber verstehe ist, dass sie einen neuen Termin vereinbaren will. Ich raste beinahe aus, was natürlich nicht geht. Ich schaffe es aber, dass sie uns neben die Liftstation schickt, wir uns (alleine) festmachen und mit ihr persönlich reden. Schließlich sollen wir am nächsten Morgen um 8 Uhr als erstes rausgeholt werden. Das Problem an der ganzen Sache ist, dass wir bereits alles fest organisiert haben: Fabrice sollte bereits mit dem Saubermachen der Rümpfe begonnen haben (wir haben gerade so einen Slot bei ihm bekommen, weil er eigentlich komplett voll mit Aufträgen ist!), um später, nämlich morgen, dann wären die Rümpfe trocken, das neue Antifouling aufzutragen; wir haben bereits einen Termin für das Checken der Saildrives bei ‚Mechanique Plaisance‘ und außerdem wollen wir ja weitersegeln… Und jetzt bringt Anne den ganzen straffen Zeitplan durcheinander, weil sich die Kollegen nicht absprechen? Nun gut, denken wir, um einen halben Tag wollen wir nicht streiten und besprechen mit Fabrice den weiteren Plan. Das Brackwasser um die Liftstation stinkt zum Himmel, aber es ist ja nur für eine Nacht, denken wir. Am nächsten Morgen steht bereits ein Boot in „unserer“ Liftstation. Da fangen die Diskussionen wieder an, denn es war ja noch am Abend zuvor anders vereinbart worden. Das Ärgerliche daran ist, dass dieses Boot noch nicht mal rausmuss, sondern nur unseren Platz neben der Station hätte einnehmen müssen, denn es soll lediglich der Mast entfernt werden. Als es heißt, dass ein weiteres Boot vor uns drankommen soll (wieder nur Mastentfernung), reicht es uns und wir suchen den Manager auf. Nach einer Diskussion verspricht er, etwas zu tun und tatsächlich werden wir noch vor der Mittagszeit endlich rausgeholt (der Manager höchstpersönlich weist uns sogar ein und nimmt die Leinen entgegen), so dass Fabrice‘ Team mit der Arbeit beginnen kann. Als der junge Mann mit dem Hochdruckreiniger kommt und das Boot säubert, ist alles schwarz! Feiner Antifouling-Sprühnebel verteilt sich auf das gesamte weiße Boot und färbt es dunkel. Uns kommen fast die Tränen. Auch Fabrice steht etwas verwirrt da, denn so etwas habe er vorher noch nie erlebt. Was hatten wir denn an den Rümpfen? Beinahe vorwurfsvoll schaut er uns an, aber wir können nichts dafür. Wir nutzen die nächsten Tage und machen das gesamte Boot sauber. Während das Antifouling erneuert wird, bringen wir MOCEAN auf Hochglanz: sowohl Gelcoat als auch sämtliche Beschläge werden gewienert, ja sogar die Fender. Sie blitzt und blinkt; sie sieht aus wie neu. Nach dem Primer bekommt MOCEAN drei richtig fette Schichten schwarzes Antifouling, dieses Mal SEAJET 39 Platinium. Anders als der Türke spart der Franzose nicht mit Farbe – im Gegenteil: es kommt uns ganz schön dick vor. Aber besser viel als zu wenig, denn es soll ja jetzt endlich mal 2-3 Jahre halten. Am 9. März werden die Saildrives gecheckt, Dichtungen getauscht und Alex montiert die nagelneuen, außerordentlich hübschen Folding Propeller. Sie sehen jetzt schon toll aus. Dann kommt Anne vorbei und will unsere MOCEAN versetzen, und zwar per Anhänger. Wir bekommen sofort Herzrasen, denn das trauen wir hier niemandem zu. MOCEAN wurde immer nur mit einem Lift transportiert; dafür sind die Stellen an den Rümpfen exakt markiert. Aber auf einem Anhänger? Wir haben Angst, dass unser Boot dadurch kaputt geht, denn sie will unter die Brücke gehen und dort die großen Stempel ansetzen. Das ist aber schwierig, weil alles gebogen ist und… MOCEAN ist einfach alles, was wir haben. Wir fragen, für wie viele Tonnen der Anhänger ist. Maximal 20 Tonnen. Wie schwer MOCEAN sei? Da wir komplett voll sind und viel schweres Equipment an Bord haben, Hersteller immer bei Leergewichten fudeln, sagen wir 23 Tonnen, denn so steht es auch in den Bootspapieren als Maximalgewicht. Anne sagt, der Anhänger könne das. Alex lässt sich den Anhänger zeigen und lehnt schließlich ab. Ich habe eine schlaflose Nacht, weil ich befürchte, dass man MOCEAN gegen unseren Willen verschieben wird. Stattdessen stellt Anne uns ein Boot genau vor unsere saubere MOCEAN und lässt das rausgeholte dreckige Boot mit Hochdruckreiniger säubern. Glücklicherweise ist auch eine größere, fertig gestrichene und polierte Lagoon neben uns davon betroffen, mit dessen Crew wir uns unterhalten und man bittet den Franzosen um rücksichtsvolle Reinigung. Glücklicherweise geht alles gut und wir müssen nicht wieder von vorn anfangen.

Am 11. März 2020 wird MOCEAN wieder zu Wasser gelassen. Am 13. März beginnt langsam der Lockdown auf Martinique: er startet in Fort-de-France, wo die Schulen schließen. In Le Marin ist noch alles normal, aber wir merken, dass sich das bald ändern wird; es schließen die ersten Geschäfte. Dann macht auch noch die Post komplett zu. Zwei Pakete werden nicht mehr geliefert: eines von den Eltern mit dem Winschenersatzteil und aus Barbados die dringend benötigten Dichtungen für die Salzwasserpumpe unseres Wassermachers: die Pumpe ist undicht und je mehr wir die Pumpe ohne neue Dichtung benutzen, desto mehr machen wir kaputt. Auf Martinique haben wir uns die Füße wundgelaufen, Dichtungen für eine Pumpe zu finden, die Standard ist. Auf Barbados konnte Alex schließlich eine Pumpenfirma ausfindig machen, dessen Mitarbeiter Chris unglaublich hilfreich war und genau unsere benötigen Dichtungen zugeschickt hat – zu spät. Zwar ging der Flieger noch wie von Chris bestätigt, aber da in Fort-de-France alles dicht ist, kommt keine Post mehr an. Ob wir die Post überhaupt noch mal bekommen? Ob die Lieferung nicht in dem Durcheinander, das später eventuell herrschen wird, abhandenkommt? Da geht uns auf, dass wir wahnsinniges Glück hatten: Kiteequipment und Folding Props sind gerade noch rechtzeitig auf Martinique gelandet und auch unser Haul-out war gerade noch rechtzeitig wieder beendet, denn sonst hätten wir drei Monate lang auf der Yard festgesessen! Am 17. März 2020 erklärt Macron schließlich den nationalen Lockdown, der ebenso Guadeloupe und Martinique sowie andere französische Inseln betrifft (im Übrigen auch einen großen Teil im Südpazifik – Französisch Polynesien!). Von überall her strömen Segler noch schnell nach Martinique, weil sie lieber hier festsitzen wollen als woanders, denn niemand hat eine Ahnung, wie lange der Lockdown aufrecht erhalten bleibt. Damit sitzen sämtliche Segler fest und wissen erst mal nicht weiter. Bald kommt die Hurrikansaison und was dann?

Der Traum von Freiheit ist von einem Tag auf den anderen zerplatzt.

Wieder am Ankerplatz: doppelter Regenbogen zur Belohnung

St. Lucia -> Martinique = 28 NM

NM insgesamt: 6.822 NM


2 Gedanken zu “Martinique: Vom Haul-out zum Lockdown

  1. Du hast einen sehr guten Schreibstil und schilderst sehr interessante Erlebnisse.
    Was mir persönlich fehlt, und was all die guten Beschreibungen noch sehr viel authentischer machen würde:
    auch diejenigen Fotos schießen (und hier hochladen), die auch „weniger hübsche“ Dinge beleuchten!
    Als Beispiel sei genannt:
    Fotos von der Yacht, die durch aufgewirbelten Anti-Fouling-Anstrich verschmutzt wurde.
    Fotos von Dir, wie Du die dreckige Yacht putzt!
    Fotos von der Poststelle, die wegen SARS/Covid-19 geschlossen war (Hinweisschild an Tür).
    Und zwischendurch auch mal wieder Gedanken einstreuen, ob euch beiden das Reisen mit dem Katamaran wirklich noch so viel besser vorkommt als mit dem LKW, oder ob da manchmal Zweifel aufkommen.
    Man sieht immer nur Hochglanz, Hochglanz, Hochglanz – das passt nicht zum Text.
    Auf jeden Fall wünsche ich euch beiden weiterhin viel Glück, Spaß und Gesundheit bei euren Abenteuern!

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    1. Hallo Lea-Rahel,

      danke für Deinen Kommentar! Es wäre natürlich wünschenswert, in allen Situationen sofort das Handy parat zu haben, um alles zu dokumentieren. Hinterher ärgern wir uns manchmal selber, dass wir keine Fotos gemacht haben; allein, weil wir nicht immer daran denken. Wir sind ja auch nur zu zweit an Bord und in kritischen Situationen zunächst daran interessiert, das Problem zu lösen. Andererseits wollen wir auch nicht jede Kleinigkeit fotografisch dokumentieren. Die Bilder, die sehr häufig nur eine temporäre Situation eines Landes zeigen, kursieren bei der Veröffentlichung jahrelang im Netz, sind bei Google ohne jegliche konkrete Information zu finden. Ich würde dem Land, den Menschen u.ä. Unrecht tun, ein falsches Bild zu erzeugen, nur weil ich einen besonderen und möglicherweise einmaligen Zu-/Umstand unbedingt festhalten wollte. Mit meinen Umschreibungen hoffe ich, dem Leser ein Bild von bestimmten Situationen vermitteln zu können, auch wenn nicht immer Fotos das Geschriebene unterstreichen.

      Du hattest angemerkt, dass Du die Gegenüberstellung „Reise mit dem Expeditionsmobil Reise mit dem Boot“ vermisst und Du Dich fragst, ob uns die Reise mit dem Boot immer noch „besser vorkommt“. Was Du mit „vorkommen“ meinst, verstehe ich nicht ganz. Es ist aber so, dass jede Art des Reisens seine Vor- und Nachteile hat, die ich in meinen Berichten auch erwähne. Während das Reisen mit dem Wohnmobil in den Jahren 2017-2019 für uns ein purer Roadtrip war, was wir zwar nie angestrebt hatten, aber aus verschiedenen Gründen (Saison, Visa, fehlende Infrastruktur für Freizeitsport) sich einfach so entwickelt hat, konzentriert sich die Reise mit dem Boot auf das Leben darauf und hat seine ganz eigenen Herausforderungen. Und auch wenn wir so mancher Erinnerung mit dem Wohnmobil (zB Skitouren in Norwegen) nachhängen, gefällt uns das Leben auf dem Boot insgesamt wesentlich besser – ohne Zweifel (selbst wenn ich immer noch seekrank werde). Es ist das erste Mal seit Jahren, dass wir zur Ruhe kommen und Zeit haben. Ich denke, wenn man die Berichte nebeneinanderlegt, wird der Unterschied deutlich.

      Viele Grüße wo auch immer Du bist,
      Alex & Nicole

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