Auf Irrwegen in der Gobi

In Gurvantes haben wir die Möglichkeit, ein paar Sachen einzukaufen. Dort gibt es einen kleinen Supermarkt, der erfreulicherweise sehr viel mehr zu bieten hat, als Brot, Eier und ein paar Konserven. Was allerdings fehlt, seit wir in der Mongolei unterwegs sind, ist Obst und Gemüse. Wir ergattern lediglich ein paar Äpfel, mehr gibt es hier nicht. Gemüse gibt es überhaupt nicht. Die letzten drei Zwiebeln, die traurig in der Kiste liegen, sind faulig. Wir haben nur noch eine Zwiebel und die müssen wir uns jetzt gut einteilen. Insgesamt ist das Einkaufen in der Mongolei ziemlich teuer. Die Produkte werden zum sehr großen Teil aus den umliegenden Ländern, ja sogar aus Deutschland importiert. Im Vergleich sind es deutsche Preise, die wir für Lebensmittel und Dinge des täglichen Lebens, wie Shampoo, Zewa usw. bezahlen. Erstaunlich, hätte ich nie gedacht. Und wir können sogar in der Regel mit Kreditkarte zahlen, sowohl in Supermärkten als auch an Tankstellen.

Dann geht es 270 km auf üblen Sandpisten Richtung Osten nach Bayandalay. Wir geraten in einen Sandsturm, was ziemlich gemein ist: wenn wir die Fenster nicht öffnen, wird es viel zu warm im Fahrerhaus, aber mit geöffneten Fenstern schmecken wir Sand. Schließlich erreichen wir Bayandalay.

Sandsturm in der Gobi
Sandsturm in der Gobi

Eigentlich wollen wir – also ich will – nur zu den Khongoryn Els (als ob wir bisher nicht schon genug Sanddünen gesehen hätten 🙄), und biegen deshalb bei Bayandalay links auf den Feld- und Wiesenweg ab. Kaum sind wir auf dem Weg, platzt wieder mal einer der Luftbälge unserer Zusatzluftfederung, die 4wheel24 gebaut hatte. Das ist jetzt schon das dritte Mal nach Oman und Tadschikistan. Genervt halten wir in der Steppe und Alex macht sich ans Werk; inzwischen hat er ja Übung darin. Eine Stunde später können wir auch schon wieder los.

Der Weg geht erst vielversprechend weiter, wird dann jedoch zunehmend schlechter bis hin zu nicht befahrbar. Alex vergeht schnell die Lust, denn es sind noch 100 km zu den Dünen und ob der Weg irgendwann mal wieder besser wird? Alex schweigt, traut sich dann aber nach dem Studium der maps.me-Karte mit den eingetragenen Attraktionen doch mal vorsichtig anzumerken: „Du weißt aber schon, dass sich da etliche Camps befinden und sogar Kamelreiten angeboten wird?“ Wir scheuen solche Touristenorte. Ich nehme das zur Kenntnis und schweige. Ich will das durchziehen und steuere den Benz stur durch das unwegsame Gelände. Ich will zu den verdammten Dünen. Innerlich überlege ich trotzdem, wie sinnvoll die Aktion jetzt ist.

Nach 5 km mit rasender Geschwindigkeit von 5 km/h auf der Piste, auf der sich unser Fahrzeug ganz schön verbiegt, vergeht schließlich auch mir die Lust: Fahrspuren, die als Spaßpiste für Crossräder oder von mir aus Buggys dienen, aber definitiv nicht für ein großes WoMo geeignet sind. Ständig verschränkt sich der Zwischenrahmen bis zur Schmerzgrenze. Es ist anstrengend für Maschine und Mensch; ich stöhne. Also drehen wir um. Alex ist erleichtert. Ich folge exakt meiner eigenen Fahrspur zurück. Doch plötzlich sackt das linke Hinterrad ein und wir stecken fest. Nichts lässt darauf schließen, dass der Boden hier so weich ist. Erst halte ich es für einen schlechten Scherz, dass es der Benz trotz eingelegter Sperren nicht mehr rausschafft, aber als ich einen Blick nach hinten werfe, wird mir schlecht. Das sieht überhaupt nicht gut aus: das hintere linke Rad hängt ganz blöd und tief in einer Kuhle, der Aufbau steht stark schräg nach links geneigt. Gott sei dank ist der Balg VOR dieser Piste geplatzt, geht mir sofort durch den Kopf, sonst hätten wir jetzt wohl noch Spaß mit den Federblättern… Es ist 18 Uhr und es dauert nicht mehr lange, bis uns die Dunkelheit erreicht.

Hilft nichts, wir müssen buddeln. Alex nimmt die große Schaufel und legt schon mal los. Ich will den kleinen Klappspaten aus der Staubox nutzen, aber als ich ihn in den Händen halte, sind es zwei Einzelteile: Die Schaufel hat sich vom Griff gelöst. Von dem ganzem Gerappel hat sich die Schraube herausgedreht, die Schaufel und Griff zusammenhält. Also muss ich erst mal das gesamte Feuerholz aus der Staubox rausholen, um nach Schraube und Mutter zu suchen. Dann buddle ich mit.

Gemeinsam buddeln wir ununterbrochen zwei Stunden mit der großen und der kleinen Schaufel. Der Boden ist nicht nur weich, schlimmer, er ist oben auf hart, darunter klebrig wie Stockbrotteig und darunter zäh und klebrig wie Kaugummi. Was für ein Scham(m)assel! Es ist ein Kraftakt, sich da durchzubuddeln. Der klebrige Boden bleibt an der Schaufel hängen, was das Buddeln nicht gerade erleichtert. Der erste Versuch mit einem Sandblech unter dem linken hinteren Rad und niedrigerem Reifendruck (2,1 Bar hinten) scheitert; wir graben uns noch tiefer ein. Der Benz steht jetzt beängstigend schräg. Das Differential hat sich wieder schön in den Boden gegraben, der (hochgeklappte!) Unterfahrschutz liegt abermals auf. Das linke Rad ist jetzt komplett im Loch verschwunden. Außerdem sieht es so aus, als würde das hintere linke Rad durchdrehen in der Schmiere und als hätten die Räder auf der rechten Seite keinen Grip mehr, weil das gesamte Chassis schief steht. Scheiße. Es ist jetzt bereits 20 Uhr und die Sonne ist untergegangen. Kommen wir hier wieder raus? Weit und breit kein Kamaz (6×6 LKW), den wir mal eben um Hilfe bitten könnten. Wir müssen es aus eigener Kraft schaffen und wir sind jetzt schon müde.

Wir haben nur noch eine Möglichkeit: wir müssen die Straße ebnen. Alex holt die Stirnlampen aus der Kabine und für jeden ein Bier. Wir legen die Hinterachse nochmals komplett frei, ebnen die Straße gemeinsam zwischen Hinter- und Vorderachse, so dass nur noch eine minimale Steigung vor dem linken hinteren Rad besteht. Dann ist da dieser Hügel mit Busch vor dem linken Vorderreifen; der muss weg. Alex holt die Axt und haut das Gebüsch kurz und klein; ich trage Hügel samt Wurzeln komplett ab. Nach weiteren zwei Stunden Nonstopp-Buddelns haben wir alles umgepflügt und den Benz freigelegt. Die Hände bluten inzwischen, weil der feine Sand die Haut weggeschmirgelt hat. Vor allen Rädern nehmen wir Erde weg und ich verteile unser gesamtes Feuerholz vor allen Rädern. Gott sei dank haben noch nicht gegrillt, denn es gibt weit und breit mal wieder keinen Baum, geschweige denn Holz. Auf das Feuerholz vor dem eingesackten linken Hinterrad legen wir zusätzlich unser zweites Sandblech; auf dem ersten steht der Benz noch. Mit Stirnlampen stehen wir nach den zwei Stunden Nonstopp-Buddelns da und betrachten unser Werk. „Du meinst, das reicht schon?“ frage ich besorgt. „Das ist jetzt wahrscheinlich der letzte Versuch…?!“ Alex nickt. „Ich denk schon.“ sagt er zuversichtlich. Ich habe ein mulmiges Gefühl, als sich Alex hinters Steuer setzt.

Aber wir haben offensichtlich gute Arbeit geleistet, denn unser Feuerholz rettet uns. Der Benz kann sich aus dem Loch befreien. Es ist inzwischen nach 22 Uhr. Ich juble und falle Alex erleichtert um den Hals. Während Alex Luft auf die Reifen pumpt, befreie ich noch mit dem Klappspaten mühsam das erste Sandblech; das hatte der Reifen einfach komplett in die schmierige zähe Kaugummi-Pampe tief hineingeschoben. Wir sind fix und fertig.

Alex fährt uns noch aus diesem Feuchtgebiet raus, so dass wir auf einer geraden Kiesebene übernachten können; exakt dort, wo Alex den Luftbalg getauscht hatte. Der Adrenalinspiegel sinkt langsam, jede Bewegung tut jetzt weh und wir spüren die offenen Wunden an den Händen; Rücken, Schulter und Oberschenkel brennen. Unter der Dusche kommen mir fast die Tränen – es brennt höllisch an den Händen. Wir feiern den Tag mit unserer letzten Zwiebel; die hatten wir extra für einen besonderen Anlass aufgehoben. Na, wenn das kein Anlass ist… Vorm Schlafengehen schmieren wir uns gegenseitig mit Pferdesalbe ein, damit der Muskelkater unsere Bewegungen in den nächsten Tagen nicht allzu sehr lähmt.

Wir haben gestrichen die Schnauze voll und wollen keinen Abstecher mehr machen; es geht jetzt auf direktem Weg die 650 km nach Ulaanbaatar – kein Bock mehr. Später erfahren wir von anderen Reisenden, dass wir ausgerechnet den unfahrbaren Weg gefahren sind. Es gibt eine Piste von Dalanzadgad aus, die einzig befahrbare Route zum Khongoryn Els. Allerdings mit 250 km one way auch deutlich länger. Das hätte ich Alex ohnehin nicht angetan, weil uns die 100 km nach den bisherigen Feldwegen eigentlich schon zu viel waren. Ein Abstecher auf solchen Wegen ist ja ganz witzig, aber wenn man mehr als 1.000 km solche Wackelpisten fahren „muss“, ist man irgendwann durch; das zermürbt. Uns geht es jedenfalls so. Ab Bayandalay ist die Hauptstraße wieder asphaltiert. Was für eine Wohltat!


5 Gedanken zu “Auf Irrwegen in der Gobi

  1. Jedenfalls, seid ehrlich, ist es immer eine Mär von 4 x 4 am ende oder? Man fährt nur weiter rein, und kommt dafür schlechter raus. Mittlerweile will ICH nur noch eine Diff Sperre hinten und sonst nix, das ganze doppelte Achsengerümpel…. Jedenfalls tolle Reise

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  2. Manchmal frage ich mich beim lesen Eurer Berichte; Habt Ihr auch Spass bei der ganzen Sache ? Es scheint ja irgendwie alles immer sehr anstrengend zu sein und weniger die Erholung vom Stress der Zivilisation … habe mir gerade meinen LKW gekauft um mein WoMo zu bauen …. ich hoffe meine Träume von schönen Reisen werden wahr :-))

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    1. Hallo Dieter,

      Deine Frage bringt mich zum Schmunzeln. Ich kann ganz klar sagen: JA, wir haben/hatten auch Spaß bei der ganzen Sache. Ich bin nicht der Typ für überschwängliche Formulierungen, schreibe lieber eher sachlich, wie es tatsächlich war und in dem Moment habe ich/haben wir mich/uns so gefühlt. Uns war von Anfang an klar, dass es auch schwierige Situationen geben wird, aber das ist ja auch das schöne am Reisen. Wir haben keine pauschale Kuschel-/Wohlfühlreise gebucht und wir bringen uns ja selber in solche Situationen. Theoretisch könnten wir auf Asphaltstraßen/Hauptstraßen bleiben und es würde wahrscheinlich gar nichts passieren :). Aber das genau das wollten wir nicht und der Benz ist ja nicht nur für die Asphaltstraßen gebaut. Egal, was man macht, es gibt immer zwei Seiten und so wird es auch beim Segeln zwei Seiten geben. Das macht aber eine Reise bzw. das Leben on the road/offshore erst interessant. Ich wollte Dir dadurch Deine Träume nicht nehmen, aber klar ist, dass es eben manchmal anstrengend ist.

      Wir wünschen Dir eine ganz tolle Zeit mit Deinem Wohnmobil. Wir sind schon gespannt, wohin es Dich verschlagen wird :).

      Viele Grüße
      Nicole

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