Von der russisch-mongolischen Grenze fahren wir nicht mehr weit, denn es ist schon spät. Ab der Grenze empfängt uns Piste, wir kommen langsam voran und so übernachten wir einfach neben der Straße auf der Wiese, möglichst weit weg von Jurten (Ger).
30 km nach der Grenze ist die Straße plötzlich asphaltiert – eine der besten Asphaltstraßen seit langem! Wir sind platt. Damit hatten wir gar nicht gerechnet. Aber wir trauen dem Frieden nicht und erwarten, dass sie gleich wieder endet. Doch tatsächlich können wir, mit ein paar Unterbrechungen, ordentlich Strecke machen, denn sie ist beinahe durchgängig asphaltiert. Ein großes Stück mittendrin fehlt; ist noch nicht fertiggestellt. Die Bauarbeiten dazu laufen. In Ölgii kaufen wir eine SIM-Karte bei UNITEL: 10 GB = 15.000 Tugrik (gesprochen: Tögrök); wir packen noch weitere 40 GB für 55.000 Tugrik drauf. Damit sind wir für die gesamte Mongolei gut ausgestattet. Diesel bekommen wir in der Mongolei selbst in den kleinen Dörfern an den Tankstellen. Nahe der Grenze kostet der Liter 1.880 Tugrik (ca. 0,67€), ab Altai dann schon 2.200 Tugrik.
Am nächsten Tag machen wir Mittagspause am Tolbo Lake, einem wunderschönen See, der in der Landschaft, wo es sonst nichts gibt, schön blau glitzert. Eigentlich wollen wir gerne über Nacht bleiben, aber es schwirren tausende Moskitos um uns und das Auto herum, dass uns die Lust sofort vergeht. Fotos wollen wir trotzdem machen, werden dabei aber von Moskitoschwärmen begleitet.
Viel zu schnell – sozusagen – und daher viel früher als erwartet erreichen wir bereits am 20. August 2018 den Ort Altai, einem Ort in der Provinz (Aimag) Gobi-Altai im Westen der Mongolei. Unser eigentliches Ziel ist die Wüste Gobi, aber was tun mit der vielen Zeit, die wir jetzt eingespart haben? Ich habe die Idee, einen Abstecher zum Char Nuur zu machen. Das soll ein schöner See mit Wanderdünen sein. Erst musste ich ein bisschen suchen, denn in der Mongolei ist das so: man braucht hier niemanden nach dem Weg zu fragen, man muss schon selber wissen, wohin man will. Die Ortsbezeichnungen sind ein echtes Problem: nahezu alles wird hier nach dem äußeren Erscheinungsbild benannt: großer Berg, kleiner Berg, roter Berg, schwarzer See (Char Nuur). Damit kann dann aber auch ein Berg, ein Fluss oder eine Siedlung gemeint sein. Und dann gibt es die Orte auch gleich ein dutzend Mal. So finde ich mehrere Seen in der Mongolei verteilt, die Char Nuur heißen. Letztlich habe ich den richtigen See aber ausfindig machen können. Ich weiß, dass eine lange Strecke von 330 km „mal eben“ zu bewältigen ist – one way! Alex weiß das aber nicht und weil ich befürchte, dass er keine Lust auf die Fahrerei hat, weil wir bereits in Russland ein absolutes Tief hatten, ich mir aber sicher bin, dass sich der Abstecher lohnt, schwindle ich ein bisschen, als er mich fragt: „Wie weit isˋn das?“
Jetzt kann ich ja schlecht sagen, wie weit das wirklich ist, also lasse ich so unwichtige Details wie „330 km“ einfach weg und konzentriere mich aufˋs Wesentliche: „Na ja, im Grunde müssen wir nur bis zum nächsten Ort…“ Dazu muss man sagen, dass es in Ländern wie zB Mongolei oder Kasachstan im Gegensatz zu Ländern in Europa gigantische Streckenunterschiede zum Begriff „nächsten Ort“ gibt. „…bis zum nächsten Ort Uliastai, das ist eine orangefarbene Straße laut maps.me, sollte also schnell gehen. Dann biegen wir links ab zum Dorf, das wird wahrscheinlich eine Piste sein, weil weiße Straße, und ab da sind es nur noch 50 km bis zum See.“ Ich finde, ich hab ihm das super verkauft. Alex schluckt das und gibt Gas, obwohl er die 50 km bis zum See schon bedenklich findet. Übersetzt heißt meine Beschreibung: wir müssen ab Altai 200 km nach Uliastai, dann noch mal 30 km bis zur Abzweigung zum Dorf, von der Abzweigung 30 km bis zum Dorf яруу, von da 50 km bis zum See, aber das ist nur die Ostseite. Ich weiß, dass ich zur Südseite will, also noch mal 20 km drauf bis zum gewünschten Stellplatz am See. Nichts geht schnell. Als knapp 6 km hinter Altai die schöne asphaltierte Straße der A 030 leider nicht für uns weitergeht, weil wir ja auf die A 1103, und das ist leider eine Piste, abbiegen müssen, fragt Alex, ob wir jetzt schon Richtung See seien. Ich werde rot. Was sag ich jetzt?
„Nein, noch nicht. Ich bin auch überrascht, dass das jetzt eine Piste ist. Ist ja nur bis zum nächsten Ort.“
„Und wie weit noch?“ fragt Alex, weil das Gerüttel der Wellblechpiste jetzt schon nervt. 200 km bringe ich einfach nicht über die Lippen und da kommt mir maps.me zur Hilfe: Maps.me schlägt eine merkwürdige Routenführung vor, die mal eben 100 km mehr beträgt, also sage ich, dass ich das nicht sagen könne, weil die Routenführung komisch sei.
„Dann so ungefähr!?“ Alex will es wissen.
„Keine Ahnung, da muss ich mal rechnen.“ sage ich leise, tippe auf dem iPad rum und sage einfach nichts, in der Hoffnung, dass er seine Frage einfach vergisst.
Alex wird skeptisch und lässt nicht locker. Ich bediene mich eines weiteren Tricks, indem ich die Routenführung eingebe mit Zwischenstopps, dann aber weit genug aus der Karte herauszoome, so dass der Anschein entsteht, wir wären gleich da. Je mehr man rauszoomt, desto näher ist man ja seinem Ziel. Das halte ich dem fahrendem Alex unter die Nase, in böser Absicht, dass er sowieso nichts erkennen, geschweige denn die noch verbleibenden 300 km, die unten rechts in der Ecke stehen, lesen kann.
Und so fahren wir die Hauptstraße zwischem Altai und Uliastai entlang. Sie beginnt vielversprechend mit ruppiger Wellblechpiste, aber schon ab тайшир, nur 40 km weiter, hört die präparierte Piste auf und wird zur…, ja, wie soll ich sagen…, zum Feld- und Wiesenweg. Es ist ein Wiesengemetzel: unzählige Fahrspuren haben sich in die unschuldige Wiese gegraben und man kann sich jetzt das Beste vom Schlechtesten aussuchen. Man darf nur nicht die falsche Fahrspur nehmen, die zu einer Jurte oder irgendwo in die Berge, zu einer Tränke oder gar zum Klo führt. Denkt man, man hat eine gute Wahl getroffen und kann wieder Gas geben, wird man durch Löcher gestoppt. Beim PKW sind die Löcher vielleicht nicht so schlimm, aber unser LKW schaukelt ordentlich, so dass wir in Schrittgeschwindigkeit fahren müssen. 120 km fahren wir zum großen Teil im Schritttempo: Geröllfelder mit fiesen spitzen, großen Steinen, tiefe Löcher, Wasserdurchfahrten, Wellenpisten, als wäre man mit einem Boot auf unruhiger See unterwegs, über Abwechslung können wir nicht klagen. Auch landschaftlich: wir durchqueren Wüstensteppe um Altai herum, Steppe auf dem Weg nach Uliastai und danach Gebirgswaldsteppe mit einigen Bäumen; da sind wir überrascht. Wir fahren durch viel Nichts: Außerhalb Ulan Bators leben durchschnittlich 1 Einwohner pro qkm, das aber ziemlich gut verteilt, so dass man immer irgendwo in der Ferne eine Jurte sieht.
Alex fragt dann doch noch mal: „Sag mal, wie weit ist das noch?“ Und da muss ich dann mit der Sprache rausrücken, betone aber im gleichen Atemzug, dass es sich voll lohnen würde. Alex ist jetzt ruhig. Wenig später übernachten wir neben der Straße im Grünen. Es gibt unzählige, wunderschöne Campmöglichkeiten, ohne gestört zu werden, ohne den Jurten in die Quere zu kommen. Am nächsten Tag bin ich dran mit Fahren und überlasse Alex die Navigation. Die Piste wird schmal, führt durch Büsche… „Das kann doch unmöglich die Hauptstraße sein!“ stöhne ich und überlege ernsthaft, ob das mit dem See eine gute Idee war und ob wir nicht doch lieber abbrechen und umdrehen sollten. So eine Schinderei. Alex nickt und zeigt mir die Routenführung. Wahnsinn. Schließlich erreichen wir Uliastai, ein Ort mitten im Nirgendwo, größer als gedacht und mit Internetempfang – LTE! Wir können kurz die wichtigsten Nachrichten empfangen und senden, dann sind wir aus dem Ort auch schon wieder draußen und der Internetempfang weg. In der Mongolei hat man nämlich zum größten Teil nur in den Orten selber guten Empfang. Außerhalb häufig nix und wenn doch, dann nur 2G, womit sich nicht so wahnsinnig viel anfangen lässt.

30 km vor Uliastai und bis zu Abzweigung zum Dorf ist die Straße wieder etwas besser: eine breite Wellblechpiste; mit höherer Geschwindigkeit gut zu fahren. Ab der Abzweigung geht das Gerumpel wieder los, aber nicht so schlimm wie zuvor. Immerhin können wir mit 40 km/h die sandigen Wege entlang“rasen“, sofern wir nicht von Ziegen, Schafen, Pferden, Yaks oder Löchern aufgehalten werden. Ab dem Dorf яруу sind wir unschlüssig, wo es langgehen soll. Es gibt keine Schilder, wir müssen uns den Weg selbst suchen. Und so entscheiden wir uns für „Augen zu und durch“. Geradeaus hinter dem Dorf sehen wir Fahrspuren auf der Wiese bergauf führen, sieht komisch aus und wir haben erst Zweifel, ob diese auch zum Ziel führen, aber wir entscheiden uns für den direkten Weg und laut maps.me müssen wir ja einfach nur geradeaus fahren. Eine größere Wasserdurchfahrt ohne Brücke in Sicht müssen wir noch bewältigen, dann geht es über mehrere Berge und durch mehrere Täler bis auf eine Höhe von maximal 2.363 m, dann wieder runter über Berge, durch Täler bis wir am zweiten Tag bereits gegen 15 Uhr vor dem auf knapp 2.000 hm gelegenen Char Nuur stehen, und zwar an der Ostseite. Hier kann man überlegen, nach rechts oder links zu fahren; sicherlich sind beide Seiten schön. Wir entscheiden uns für die linke, also südliche Seite, fahren nochmals 20 km über drei Berge. Als wir über den Rücken des dritten Bergs fahren, haben wir einen fantastischen Blick auf die Wanderdüne – unser Ziel. Der Weg ist durch die vielen Fahrspuren bereits vorgegeben und nicht schwer; nur das Geröllfeld mit vielen größeren, aber spitzen Steinen des dritten Bergs trübt kurz das Fahrvergnügen, weil, wie zuvor auch schon, die Angst um die Reifen in der Luft schwebt. Dafür wird man aber auch belohnt. Unten an der Düne stehen viele kleine Pfeiler, die den weiteren Weg zur Düne versperren sollen. Ein „Durchfahrt Verboten“-Schild steht an den angelegten Parkplätzen mit Picknickmöglichkeit und Toilettenhäuschen. Wir zögern, so hatten wir uns das ja nicht vorgestellt. Außerdem ist Grillen verboten – schade, wir haben auf dem Weg extra Holz gesammelt. Wir überlegen noch kurz, vorschriftsmäßig vor der Düne auf dem Parkplatz zu parken, aber irgendjemand hat den entscheidenen Pfeiler mitten in der Fahrspur bereits rausgezogen und viele Fahrspuren führen zur Düne. Der Parkwächter? Wir riskieren es und fahren durch. Es steht bereits ein PKW auf dem Weg zur Düne. Ein Sandhügel trennt uns noch vom gewünschten Platz, wir begutachten ihn und fahren durch. Schließlich stehen wir direkt an der Düne am See.
Wir genießen zwei Tage die Ruhe. Leider spielt das Wetter nicht so richtig mit: erst ist es extrem windig, dann regnet es. Wir unternehmen eine Wanderung über die Dünen sowie über die umliegenden Berge, um den Blick von oben zu genießen, allerdings bei einem Wind, der uns fast wegfegt und mir beinahe die Kamera aus der Hand reißt. Wir schnappen uns die Stühle und sitzen direkt auf der Düne mit Blick auf dem See. Grandios! Möwen fliegen über uns hinweg. Wir schließen die Augen und haben das Gefühl, am Meer zu sein. Nach der zweiten Nacht springen wir ins Wasser! Ich wollte schon am Tag davor, aber wegen des Windes war es einfach zu kalt. Jetzt, einen Tag später ist es wieder sonnig und warm genug. Das Wasser ist es leider nicht und so ist das Badevergnügen nur von sehr kurzer Dauer bei Temperaturen von um die 13 Grad. Aber immerhin: wir waren drin.
Dann fahren wir soweit wir können zum Beginn der Wanderdünen, müssen noch 200 hm zu Fuß bewältigen, was uns bei 2.000 hm ganz schön aus der Puste bringt, und haben einen wunderbaren Blick auf die Sandzunge, die ins blaue Wasser reicht. Pferde galoppieren die Dünen entlang, hinter uns ziehen schwarze Wolken und Gewitter auf. Wir treten den Rückzug an und bleiben noch eine Nacht an einem anderen Ufer, bevor wir am 26. August 2018 endgültig die Zelte abbrechen und die zweitägige Rüttel-Tortur nach Altai antreten.
Ich habe diesen Artikel viel von der älteren Person zu
lesen und bestätigte meine Meinung, dass er wirklich gut geschrieben. Ich weiß nicht, wo der Autor alle diese Informationen zieht aber man kann sehen,
dass es eine gute und zuverlässige Quelle hat.
Artikel gut lesen, in einfacher Sprache geschrieben ist
nicht kompliziert.
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Sehr schöne Story, die beweist, dass arme Jungs auch in der größten Einsamkeit
nicht vor der Manipulation durch das schöne Geschlecht geschützt sind.
Warum eigentlich „…möglichst weit weg von Jurten…“ ?
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Hallo Dirk,
vielen Dank für Deinen Kommentar :). Ich weiß jetzt nur nicht, ob ich Alex noch mal dazu bewegen könnte… 😀 Nu muss eine andere Strategie her…
Zu Deiner Frage „Warum möglichst weit weg von Jurten?“: Es gibt zwei Gründe:
1. muss man in der Mongolei aufpassen, wo man parkt, weil man allzu schnell auf dem „Homeland“ der Jurteneigentümer steht, welches nicht sichtbar eingezäunt ist und man weggejagt werden könnte und
2. weil wir unerwarteten Besuch in der Dämmerung/Dunkelheit ausschließen wollten. Wir haben schon Besuch von betrunkenen Mongolen bekommen, was kein Spaß ist und von solchen, die uns etwas verkaufen wollten.
Aus diesen Gründen suchen wir uns gerne Plätze, bei denen wir glauben, relativ sicher ruhig schlafen zu können. Klappt nur oft nicht; wir werden irgendwie immer gefunden :).
Ganz liebe Grüße aus der Mongolei,
Nicole
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