Nach dem Sary Chelek entscheide ich mich für die M-076. Heute ist Alex‘ Fahrtag und ich sage, wo es langgeht. In einem großen Bogen nach Westen soll es nach Bishkek gehen. Bei Kerben verfransen wir uns ein bisschen, weil die Hauptstraße dicht an der Usbekischen Grenze entlang geht. Wir wären beinahe vor dem Grenzposten gestanden, aber da wollten wir gar nicht hin. Da wir ja keine Visa haben, müssen wir einen kleinen Umweg um den Usbekischen Zipfel fahren.
Bei Buzuk verfahren wir uns: statt links weiter der Hauptstraße zu folgen, fahren wir geradeaus in ein Dorf auf einer sehr engen Straße mit tiefhängenden Stromkabeln. Und das alles, weil ich gepennt habe. Allerdings hat das einen Vorteil: wir finden einen tollen Platz ohne Staub zum Wassertanken, kaufen noch Gemüse bei einer älteren Frau ein und zwei frischgebackene Brote. Bloß gut, denn es wird danach bis Talas, um die 300 km, keine Einkaufsmöglichkeiten mehr geben. Dann geht es hinauf zum ersten Pass auf 2.841 hm.
Wir fahren durch wenig bis gar nicht besiedeltes Gebiet, die Straße schlängelt sich durch die Berge neben dem Fluss Chatkal. Wir entdecken unzählige schöne Stellplätze. Hin und wieder sieht es an der Straße aus wie auf einer Baustelle, aber die Kirgisen sind in diesem Bereich gezwungen, einen Wall aufzuschütten, damit der Fluss während der Schneeschmelze nicht die komplette Straße flutet und sie dabei sogar noch zerstört. Das tut der herrlichen Landschaft aber keinen Abbruch. An einem malerischen Bergsee, den wir zufällig auf der Karte entdecken und nur umständlich über eine schmale Piste für PKW erreichen, bleiben wir gleich mehrere Tage, so ruhig und schön ist es hier. Etwas entfernt vom See hat eine kirgisische Familie ihre Yurte aufgebaut und hütet hier ihre Pferde und Kühe. Der Mann kommt vorbei und fragt ein bisschen, was wir hier machen und ob wir angeln oder schwimmen wollen, so genau verstehen wir das Handgewackel nicht.
Dann kommt das schönste Stück der Strecke: dafür müssen wir über den Kara Buura Pass. Bevor es jedoch weiter hoch geht, stehen wir plötzlich vor einer tiefen Wasserdurchfahrt. Die vorhandene 2t-Brücke ist definitiv nur für PKW geeignet, auch nach eingehender Inspektion des Zustands der Brücke sowie Vermessung der Spurbreite. Aber durch‘s Wasser? Es führt eine Route durch den Fluss, der Pegel ist jedoch durch die anhaltenden Regenfälle stark angestiegen; das Wasser schwappt über die Graskante. Was tun? Vom Abenteuer am Aralsee geläutert, steigt Alex im Regen aus, zieht sich um und watet im Fluss umher. Das Wasser reicht ihm nur bis übers Knie, also theoretisch kein Problem, aber die Strömung ist nicht unbeachtlich. Außerdem haben wir kein Telefonnetz und uns ist auf der Strecke niemand entgegengekommen. Was, wenn wir doch wieder steckenbleiben? Wann würde denn jemand kommen? Vielleicht doch lieber umdrehen? Wir beschließen, eine Nacht drüber zu schlafen, stellen uns direkt an den Fluss zu den vielen Zieseln und schicken Stoßgebete gen Himmel, der Wasserpegel möge doch bitte bis morgen viel niedriger sein. Die Sonne kommt auch schon durch und wir sind guter Dinge. Ich gehe derweil auf Zieseljagd, bin aber nicht besonders erfolgreich, weil die niedlichen Wachposten an vier Punkten ständig meine Position durchgeben.
Der Pegel sinkt nicht. Am nächsten Morgen sehen wir jedoch, dass zwei Kamaz 6×6 den Fluss durchqueren. Danach stehen sie stolz auf der anderen Seite und begutachten die Tat. Oh je, doch nicht so einfach? Und wir haben ja nur ein 4×4. Schnell hinterher, solange sie noch da sind und uns gegebenenfalls rausziehen können? Aber da sind sie schon wieder weg. Da wir nicht länger warten wollen, starten wir den Motor. Alex läuft über die Brücke auf die andere Seite, um Fotos zu machen. Es ist mein Fahrtag, ich Glückspilz. Falls jemand den Benz ein weiteres Mal versenkt, will es Alex nicht gewesen sein. Ich fahre gleichmäßig im 1. Gang Untersetzungsgetriebe durch den Fluss. Es ist gar nicht so schlimm, wie vermutet: Das Wasser umspült zwar komplett unsere Räder, die sind immerhin in etwa 1,10m hoch, es wackelt ein bisschen als ich den Benz über die großen Flusssteine manövriere. Aber dieses Mal wird keiner der Staukästen nass, super. Wir sind erleichtert.

Dann geht es hoch auf den Pass. Es regnet schon wieder. Auf einer glitschigen schmalen Piste vorbei an hohen Schneewänden, die sogar unseren Benz überragen, fahren wir bergauf, um dann in Serpentinen wieder hinunter zu fahren.
Ein traumhaftes Bild zeigt sich auf der anderen Seite: farbenprächtige Berge, ein grünes Tal.

In Talas gehen wir shoppen, unter anderem mehr als 2 kg Kirschen. Die kirgisischen Kirschen sind ein Traum. Wo auch immer wir Stände am Straßenrand mit Kirschen sehen, kaufen wir für 2€/Kilo kiloweise ein. In Talas werden wir erstmals von der Polizei angehalten: der Polizist will Alex‘ Führerschein sehen und prüft tatsächlich, ob er überhaupt berechtigt ist, einen LKW zu fahren. Das ist der erste Polizist seit wir losgefahren sind, der sich so sehr für einen Führerschein interessiert hat.
Danach geht es noch mal hoch auf 3.326 hm, auf den Otmok-Pass. Es schneit heftig; die Fronten der entgegenkommenden LKWs sind weiß und Alex hat schon die Befürchtung, Schneeketten aufziehen zu müssen. Der Schnee bleibt sogar liegen und das Anfang Juni. Die Temperatur ist so niedrig, dass wir in unseren T-Shirts plötzlich frieren müssen. Was für ein Auf und Ab.
Schnell geht es wieder runter ins Tal und in die Wärme. Vor Bishkek stehen wir noch einmal schön ruhig am Fluss, bevor wir uns dem Trubel der Großstadt hingeben…
