Über Nacht, am 11. Mai 2018, ist die Luft aus dem linken Luftfederbalg raus. 4wheel24 hatte die Zusatzluftfederung an unserem Benz konstruiert und jetzt, nach nur 9 Monaten / 30.000km, ist bereits der zweite Balg aufgrund fehlerhafter Konstruktion durchgescheuert. Anders als im Oman (da war der rechte Luftbalg nach 4 1/2 Monaten durchgescheuert) mit viel Sonne, erwartet uns hier auf dem Pamir Highway Kälte, Regen und Wind.

Nicht unbedingt der idealste Ort, den großen, 120kg schweren Reifen abzumontieren und den Balg zu tauschen. Aber was soll’s? Wir müssen den Balg dringend tauschen. Kaum hat Alex den Radkasten abmontiert, steht ein Dorfbewohner neben dem Benz und starrt uns an. Das Problem daran ist nicht unbedingt, dass er so unangenehm guckt, sondern dass er dabei im Weg steht. Als er auch noch ungefragt einfach Hand anlegt, schicken wir ihn weg. Alex setzt die 3/4″ Ratsche mit 30er Stecknuss an und will die Radmuttern lösen, da gibt es ein böses Geräusch und die Stecknuss ist geplatzt. Es ist unsere einzige 30er Stecknuss für das 3/4″ Werkzeug. Wieviel Pech kann man eigentlich haben? Alex versucht noch, die Stecknuss mittels besonders starker Schlauchschellen zusammenzuhalten – aber keine Chance.

Die Kraft, die auf die Nuss wirkt, ist viel zu groß. Was tun? Wir fahren sehr, sehr vorsichtig weiter (das geht Dank der Anschlaggummis durch NEFF; mit der Konstruktion von 4wheel24 hätten wir das Fahrzeug nicht mehr bewegen können, da die Federblätter zu schwach gewesen wären und wir womöglich auch noch einen Federbruch erlitten hätten!) und versuchen, in einer der Mini-Werkstätten in den Dörfern eine neue Stecknuss zu erwerben. Keine Chance. Alle sind nur auf PKW eingestellt, haben nur 1/2″-Nüsse. Erst am 14. Mai sehen wir eine Art Rasthof. Viele LKW stehen hier, denn sie fahren meistens im Konvoi – falls mal was passiert. 5 oder 6 LKW stehen da, aber nur einer (!) hat das passende Werkzeug. Offensichtlich sind die chinesischen LKW mit anderen Radmuttern ausgestattet. Mit Nuss und Stange bewaffnet löst Alex sämtliche Muttern, denn: in der MAN-Werkstatt in Urgench, wo wir die Räder hatten von links auf rechts wechseln lassen, hatte der Mitarbeiter es zu gut gemeint und die Muttern mit seinem Schlagschrauber so fest angezogen, dass wir sie kaum lösen können. Und die eine Mutter, die unsere Stecknuss zum Brechen brachte, haben Alex und ich nur gemeinsam lösen können. Nachdem Alex sämtliche Muttern kurz angelöst und wieder festgezogen hat, fahren wir nur noch ein paar Meter weiter auf einen ruhigen Platz, wo hoffentlich keine unerwünschten „Helfer“ auftauchen werden. Alex tauscht am nächsten Morgen bei Kälte, Wind und Fisselregen, aber schönem Panorama den Luftbalg aus. Gut, dass wir noch zwei Ersatzbälge dabei haben!
Langsam geht es immer weiter bergauf. Wir passieren weitere Dörfer, die Landschaft wird karger. Die Dörfer sehen sehr trostlos und verfallen aus, aber dort leben Menschen. Die Hütten haben teilweise keine Fenster; die Öffnungen sind lediglich mit Folie abgeklebt. Einige dieser Hütten bieten Home Stay insbesondere für die Radtouristen an. Irgendwie sind wir froh, unseren Benz (Rolling Luxury Appartement) dabeizuhaben.
Ab 3.500 hm hat Alex leichte Kopfschmerzen. Bei mir sticht es kurz im Hinterkopf, ist dann aber wieder gut. In der Nacht vom 14. zum 15. Mai übernachten wir auf 4.035 hm. Die Kopfschmerzen werden bei Alex etwas stärker. Waren wir zu schnell unterwegs? Es ist kalt, es schneit draußen und der Wind pfeift. Wir wollen/müssen am nächsten Morgen heizen. Auf knapp 3.839 hm hat die Dieselheizung noch funktioniert (besser als Eberspächer mit einer Grenze von maximal 3.500 hm verspricht), aber jetzt auf über 4.000 hm springt sie nicht mehr an. Der Diesel wird einfach aus dem Auspuff gespuckt und die Dieselheizung schaltet sich wieder ab. Gott sei dank haben wir während der Fahrt am Tag zuvor über den Wärmetauscher auf 23° vorgeheizt, über Nacht ist die Temperatur jedoch auf 17° gefallen. Nicht, dass wir erfrieren würden, aber es ist schon… kühl. „Oh je, springt jetzt unser Benz überhaupt noch an?“ frage ich besorgt. Wir sind sehr hoch und es ist kalt… Wir haben zwar Fließverbesserer im Diesel, aber das allein reicht vielleicht nicht. Bestimmt haben wir nicht ohne Grund keine alten LKW auf dem Pamir Highway gesehen. Sämtliche LKW, die uns entgegenkamen, waren/sind viel moderner als unser 30 Jahre alter Benz, haben Glühkerzen. Mit sehr viel Geduld und viel Überredungskunst, springt der Benz an und läuft irgendwann wieder gleichmäßig. Wir sind wahnsinnig erleichtert und schreiben auf die Einkaufsliste (endlich) eine Dose Startpilote.
Den nächsten Übernachtungsplatz finden wir kurz vor Murghab an einer kleinen Abrisskante. Vor uns geht es steil bergab ins breite Flussbett, das sich durch die Berge schlängelt. „Ein guter Platz, um die Drohne rauszuholen, oder?“ schlage ich vor. Jedoch verwerfe ich den Gedanken sofort wieder: „Ach, lass lieber, nicht dass sie abstürzt in dieser Höhe.“ Alex holt die Phantom3 raus, die wir schon so lange nicht mehr haben fliegen lassen. Er macht ein paar Fotos vom kleinen Canyon. Sie fliegt 14 Minuten lang, dann dreht sie sich plötzlich auf die Seite und fällt aus 15 m runter wie ein Stein, knallt auf dem harten Boden auf und zerspringt in viele Stücke. Alex steht fassungslos da.
Der Akku ist weit von der Absturzstelle weggeflogen, so dass Alex und ich zusammen auf die Suche gehen. Der gesamte Korpus der Drohne ist auseinandergebrochen, die Kamera ist abgerissen – was für ein trauriges Bild. Und das ganze nun, nachdem wir derart an den beiden usbekischen Grenzen so um unsere Drohne gefürchtet, sie extra umständlich versteckt haben. Wir packen alles zusammen und haben jetzt einen Schrotthaufen an Bord. Schade ist, dass sich die Luftaufnahmen nicht mal wirklich gelohnt haben…
Wir durchfahren Murghab. Von der Örtlichkeit haben wir uns mehr versprochen. Einen guten Supermarkt vielleicht? Aber es ist ziemlich trostlos hier, die Landschaft öde, der Ort arm. Wir fragen uns, was die Bewohner hier wohl essen, wo doch nichts wächst. Am Ortsende sehen wir es: Konserven. Verrostete Dosen über Dosen liegen weit verstreut auf dem braunen Boden. Wir nutzen den Mülleimer am Straßenrand, um unsere vollen Müllsäcke endlich loszuwerden, die wir seit geraumer Zeit mit uns herumschleppen, denn Müll entsorgen ist in Tadschikistan schwer. Außerhalb der großen Städte gibt es einfach keine Mülleimer.
Am 17. Mai erreichen wir den höchsten Pass des Pamir Highway: den Pass Ak-Baytal auf 4.655 hm. Das Schild befindet sich bereits weit unterhalb des Passes, wahrscheinlich, damit alle dort ein Foto machen können und sich nicht direkt auf dem engen Pass tummeln und den Weg versperren. Da nichts los ist, können wir ruhigen Gewissens den Benz direkt auf dem Pass parken und ein Foto schießen. Die Farben der Landschaft sind grandios: der blaue Himmel und die farbigen Berge. Ein Traum. Ich habe selten so viele Fotos von einer Fernverkehrsstraße geschossen! Ich steige aus und lasse Alex vorfahren, um den Benz in der Ferne mit der Landschaft zu fotografieren. Ich renne zum Auto und bin völlig außer Atem: die Höhe macht sich extrem bemerkbar. Auf der anderen Seite des Passes ändert sich das Landschaftsbild: vor uns liegt eine breite Ebene, gibt den Blick frei für kilometerweite Sicht. Wieder lasse ich Alex vorfahren. Ich drück gerade auf den Auslöser, da knallt der Benz fürchterlich. Was war das? Eine schwarze Wolke umhüllt unser Fahrzeug. Ist was kaputt, bleiben wir jetzt liegen? Ich beobachte Alex, aber ich sehe ihn nicht aussteigen, also scheint es alles ok zu sein. Die Höhe macht dem Benz zu schaffen und so ist unverbrannter Diesel im Auspuff, der sich hin und wieder entzündet, daher das laute Knallen. Er wird in dieser Höhe noch ein paar Mal laut knallen, der Benz wird kein Gas annehmen, was aber immer nur bergab passiert. Bergauf ist er stets kraftvoll und lässt sich nichts anmerken – Gott sei dank.
Da wir frisch und munter die Grenze nach Kirgisistan befahren wollen, entscheiden wir, am Karakul-See noch einen Stopp einzulegen. Schon von weitem strahlt er uns blau in der tristen Umgebung entgegen. Und so fahren wir umständlich über eine Piste an das südliche Ende des Sees, 12 km weit weg von der Hauptstraße. Am Strand liegen noch Schneebrocken, weiter nördlich ist noch ein Teil des Sees mit Schnee und Eis bedeckt – zum Baden definitiv zu kalt.

Nach einer ruhigen Nacht geht es am 18. Mai 2018 zum Grenzposten, auf der Piste bergauf auf fast 4.300 hm! Es wird Zeit, dass wir einen Supermarkt finden. Unsere Vorräte, insbesondere Obst und Gemüse, streben seit längerem drastisch gegen Null und auf dem Highway wurde uns zu diesem Zeitpunkt nur eins am Straßenrand angeboten: Rhabarber! Überall scheint nur Rhabarber gewachsen zu sein. Was zum… sollen wir mit Rhabarber anstellen?
Insgesamt haben wir 12 Tage nur auf der M41 (Pamir Highway) in Tadschikistan verbracht, sind diese Fernverkehrsstraße gute 730 km von Kalai Chumb bis zum Kirgisischen Grenzposten gefahren. Was werden wohl die Grenzer dazu sagen, dass wir 5 Tage überzogen haben?
Warum wolltet Ihr Euch denn nicht helfen lassen? Weil Euch sein Blick unangenehm war?
Grüße
Christian
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Hallo Christian,
danke für Deine Frage. Natürlich sind wir grundsätzlich sehr dankbar für Hilfe. So wie wir sie z.B. am Aral-See erfahren durften oder damals in Russland und der Ukraine.
Aber hier ist mit „helfen“ nicht wirklich helfen gemeint. Der junge Mann hat keine Ahnung von Trucks, Luftfederung etc. Es gab ja auch nichts zu helfen, die Stecknuss war ja schon geplatzt. Es macht mich aber total nervös, wenn da jemand erscheint, der plötzlich die Finger an Schrauben hat, die ihn nichts angehen und er noch nicht mal weiß, wofür die sind. In Duschanbe hatte ich plötzlich drei „Helfer“ auf dem Motor sitzen, als ich den Dieselfilter gewechselt habe. Da musste ich mehr darauf achten, dass sie nichts kaputt machten, als ich arbeiten konnte. Wäre echt von Vorteil, wenn wir russisch könnten.
Viele Grüße
Alex&Nicole
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