Es ist bereits kurz vor 15:30 Uhr, als wir den mächtigen Ararat im Osten der Türkei passieren. Es ist nicht mehr weit bis in den Iran. Da fällt uns siedendheiß ein, dass wir noch russischen Vodka dabei haben. Eine Flasche haben wir in Albanien verschenkt, aber für die zweite Flasche gab es bisher keinen Anlass. Wir halten an einem Parkplatz, um etwas zu essen. Ein Mann steht plötzlich neben unserem Benz und fragt nach Whiskey. Aber statt Whiskey geben wir ihm unsere Flasche Vodka. Die Einfuhr von Alkohol in den Iran ist verboten. Schmuggeln trauen wir uns nicht. Gegen 16 Uhr stehen wir an der Grenze Gürbulak-Bazargan, der einzige geöffnete Grenzübergang Türkei/Iran zu diesem Zeitpunkt. Eine lange Schlange LKW steht schon da und wartet auf die Abfertigung. Wir fahren an allen vorbei und verfahren uns ein bisschen, weil wir das „Rechts abbiegen“-Schild übersehen. An dem Duty Free Shop auf der linken Seite sausen wir schnell vorbei zum türkischen Zoll. Dort nimmt man zwar gern die Papiere für das Fahrzeug entgegen, bittet uns aber doch noch um einen Besuch der Passkontrolle für den Ausreisestempel, der sich – ausgerechnet – in dem Gebäude mit dem Duty Free Shop befindet! Das steht aber nirgendwo. Auf türkischer Seite ist man unheimlich zuvorkommend. Ein Grenzbeamter kommt, nimmt unsere Pässe und begleitet uns zur Passkontrolle. Als wir drin sind sorgt er dafür, dass wir vor allen anderen unsere Ausreisestempel bekommen. Wow! Wieder zurück beim Zoll warten wir auf das OK, die türkische Grenze passieren zu dürfen. Man fragt noch höflich nach dem Visum für den Iran und Carnet de Passages, weil eine Einreise in den Iran ohne diese Dokumente nicht möglich ist. Wir haben alles parat.
Wenn man am Zollschalter steht, steht man bereits vor einem großen Gittertor, das zur Seite geschoben werden kann. So ein Tor haben wir bisher an noch keiner Grenze gesehen. Dahinter befindet sich der Iran, der durch das schwere Tor abgeschottet wirkt. Bilder der beiden Ayatollahs prangen an der Mauer, ebenso die Iranische Flagge. Das ist so aufregend! Wir haben schon so viel Positives über den Iran gelesen, so viele tolle Bilder gesehen; wir können es kaum erwarten…
Die Zollabfertigung auf türkischer Seite ist schnell erledigt, man wünscht uns gute Reise. Ich lege mir schnell meinen Schal um den Kopf, das schwere Gittertor schiebt sich nach rechts und wir befahren noch vor dem Reisebus Iranischen Boden. Sofort schließt sich das Gittertor wieder. Es findet eine erste Kontrolle unseres Benz statt. Wir müssen unsere Pässe dem Grenzsoldaten geben. Der gibt diese sofort an einen Mann mit schwarzer Lederjacke. Wir können gar nichts dagegen machen; es scheint so selbstverständlich. Da das in der Türkei ähnlich lief, machen wir uns erst keine Gedanken. Nach der ersten Kontrolle darf ich den Benz exakt 5 m weiter fahren. Dort auf der linken Seite befinden sich sämtliche Büros für die Grenzformalitäten. Alex verschwindet mit dem Mann in der schwarzen Lederjacke. Irgendwann steige ich aus, da kommt mir Alex entgegen. „Der Mann ist mit unseren Pässen verschwunden und ich soll Dich holen?!“ Also gehen wir gemeinsam in das Gebäude. Als er wieder kommt, stellt sich der Mann als Ismael vor; er erledigt für uns die gesamte Grenzabfertigung. Niemand spricht hier Englisch, nirgendwo steht über den Tischen, bei wem man sich gerade befindet. Sich allein hier zurechtzufinden würde wahrscheinlich etwas dauern. Ismael rennt mit uns hin und her, holt sich hier eine Unterschrift, dort einen Stempel, dann wieder eine Unterschrift, noch einen Stempel (und das an vier verschiedenen Tischen in drei verschiedenen Räumen) und an dem Tag denke ich noch, dass das totaler Quatsch ist und nur dazu dient, nach möglichst viel Arbeit auszusehen, um entsprechend Geld verlangen zu können. An noch keiner Grenze mussten wir derart hin und herlaufen. Dass aber genau das typisch für die Iranische Bürokratie sein wird, werden wir bei unserer Ausreise lernen. Alex fragt Ismael irgendwann, ob er Angestellter von der Grenze sei. Nein, Ismael ist ein Grenzschlepper. Was er für seine Dienste haben wolle? Wir sollen entscheiden. Ismael arbeitet nicht allein für uns, es sind zwei. Das ist clever. Dank Ismael sind wir sehr schnell durch, der Benz wird nochmal umfänglicher inspiziert und nun geht es ans Bezahlen. Wir denken, 20€ sind angemessen, aber da sie zu zweit sind, was gibt man? Wir zahlen 40€, weil uns sein Kumpel noch zum Versicherungsbüro bringen muss, damit wir eine Iranische KFZ-Haftpflichtversicherung abschließen können. Ismael guckt sich die 40€ an. In dem Moment entscheidet er wohl, dass ihm das Geld nicht reicht. Er will 20€ mehr haben für unsere Registrierung mit Stempel, damit wir Diesel tanken können. Wir wissen, dass es im Iran keineDieselkarte mehr gibt und offensichtlich wissen die Grenzschlepper auch, dass wir das wissen. Was wir aber nicht wissen, ist, wie das Tanken im Iran nun wirklich läuft. Ismael erklärt uns, dass er unser Fahrzeug registriert habe. Damit könne nun jeder Tankwart unser Kennzeichen eingeben und uns Diesel geben. Wir können nicht ahnen, dass das gelogen ist und er uns das Geld aus der Tasche ziehen will. In der Türkei haben wir tatsächlich gesehen, dass an den Tankstellen die Nummernschilder eingegeben werden, bevor getankt wird. Da sich die Sach- und Gesetzeslage ja schnell ändern kann, sind wir ein bisschen ratlos; außerdem brauchen wir ja noch die Versicherung für den Benz und dafür muss Ismaels Kumpel mit uns mitfahren. Wir diskutieren noch ein bisschen, aber letztlich zahlen wir. Herzlich Willkommen im Iran!
Das Versicherungsbüro hätten wir genauso wenig gefunden, wie die ganzen Schalter für die Grenzformalitäten. Es befindet sich auf der linken Seite hinter der Grenzabfertigung. Es steht nichts am Gebäude und auch im Gebäude bleibt uns verschlossen, wer da eigentlich sitzt. Wir gehen direkt zum ersten Schalter links. Die Versicherung kostet für 1 Monat satte 125€. Uns bleibt die Spucke weg! Warum so viel? Wegen des Alters des Fahrzeugs. Wir protestieren. Selbst in Russland, und das fanden wir schon teuer, haben wir lange nicht so viel bezahlt.

Es hilft nichts, es bleibt bei 125€. Nun kann man natürlich entscheiden, dass man einfach ohne fährt. Aber wir werden tatsächlich später nach genau dieser Versicherung gefragt! Ein einziges Mal. Und Diskussionen sind schwierig, denn niemand spricht im östlichen Iran Englisch. Wir kaufen also die Versicherung unter Protest, bezahlen in Euro. Der Grenzschlepper erklärt uns, dass Diesel zwar sehr billig sei, Essen aber teuer (also Lebensmittel, Essen gehen sei günstiger). Wir reden uns ein, dass sich diese Kosten ja quasi durch den billigen Diesel amortisieren. Und das stimmt! Rund 0,15 € kostet der Liter Diesel (wir haben mal zu einem sehr guten Kurs 1€:49.000 IRR Geld gewechselt, so war der Liter noch günstiger) und so kann man 300 Liter Diesel für rund 45€ tanken. Ein Traum!
Wenn man denn Diesel bekommt…! Im ersten größeren Ort halten wir gleich an der ersten Tankstelle: kein Diesel. Es gibt nämlich solche und solche Tankstellen: Tankstellen, die nur Gas und Benzin verkaufen und solche, die auch noch Diesel im Sortiment haben. Also auf zur nächsten. Wir wollen bitte volltanken. Der Tankwart schüttelt den Kopf und will uns nur 60 Liter geben. Alex schüttelt ebenfalls den Kopf, er brauche aber einen vollen Tank. Das geht hin und her, bis sich beide auf 125 Liter einigen können. Immerhin. Auf der weiteren Reise werden wir immer Diesel bekommen mit Ausnahme weit rund um Bandar Abbas.
Wir müssen mehr als 40 km von der Grenze weg fahren, um aus dem Ort-an-Ort-grenzenden Gebiet rauszukommen. Inzwischen ist es dunkel und wir brauchen dringend einen Platz zum Schlafen. Letztlich finden wir auf einer schmalen Straße, die zu einem Dorf führt, am Straßenrand einen Platz. Gegen 23 Uhr klopft es. Zwei Männer aus dem Dorf fragen auf Farsi, was wir hier wollen. Schlafen! Ob wir nicht ins Dorf wollen? Nein! Nach 15 min sind sie wieder weg. Um 3:20 Uhr in der Nacht klopft es erneut. Die Polizei steht schwer bewaffnet vor dem Benz. Was wir hier machen? Niemand spricht Englisch, nur Farsi und Handzeichen. Schlafen! Sie wollen die Pässe sehen. Alex gibt sie ihnen. Ob es ein Problem gäbe? Nein, es gäbe keins. Und dafür wecken die uns mitten in der Nacht, denken wir. Wir bekommen die Pässe zurück und dürfen weiterschlafen. Am Morgen sehen wir, wie jemand seinen PKW mit etwas Abstand parkt und telefoniert – unseretwegen, das ist nicht zu übersehen. Man will wohl nicht, dass wir hier stehen. Wir fühlen uns nicht willkommen. Schnell ziehen wir uns an und fahren weg.
In Täbriz kaufen wir uns eine Iran Cell SIM-Karte, die uns nicht viel bringen wird. Entweder haben wir keinen Empfang oder eine Verbindung kann nicht oder nur schlecht aufgebaut werden. Das einzige, das ziemlich zuverlässig funktioniert, ist WhatsApp. Aber auch nur Text. Bilder zu versenden ist schwierig und setzt jede Menge Geduld voraus. Ein VPN-Dienst ist uns zu teuer. Täbriz selber ist uns zu voll, deshalb suchen wir schnell das Weite. Nahe dem Ort Keshavarz an der 23 suchen wir den nächsten Platz für die Nacht. Von einem Feldweg werden wir sofort von Schafhütern weggejagt (sie fahren uns sogar hinterher, um sicherzustellen, dass wir deren „Homeland“ verlassen) und so landen wir am Ortsrand von Shahindezh. Im Dunkeln finden wir einen Parkplatz, der ca. 50 m tief ist. Dahinter ein scheinbar verlassenes Gebäude; perfekt. Gegen 23 kommt ein Fahrzeug, aus dem vier Männer steigen. Sie kommen zu uns, sprechen nur Farsi, einer will unsere Pässe sehen. Da wir niemandem unsere Pässe geben (außer Polizei und Soldaten) verweigern wir. Woher? Wir kämen aus Deutschland. Wir fragen, ob es ein Problem sei, hier zu übernachten. Nein, kein Problem. Sie gehen. Einer bleibt im Haus, die anderen fahren. Dass der Mann im Haus das Licht nicht anmacht, macht uns stutzig. Es dauert nicht lange, da kommen die drei Männer mit dem Auto wieder, ohne Licht. Das ist komisch. Ich sag noch: „Pass auf, die haben jetzt die Polizei geholt!“ Und richtig: gleich zwei Polizeiwagen folgen. Wieder schwer bewaffnete Beamte. Woher wir seien, was wir hier wollen. Pässe. Der Typ von vorhin hat jetzt eine Schnellschusswaffe um und ist angeblich von der Polizei. „Open!“, der Wortführer will in den Benz. Alex mit kurzer Hose und ich zum Schlafen – natürlich ohne Kopftuch – im Bett! Er will rein, dabei bleibt es. Damit nicht genug, sie wollen, dass wir mit in die Stadt kommen und dort schlafen. Das wollen wir nicht: zu laut und zu viele Menschen, die klopfen könnten. Wir merken, dass der Typ von vorhin mit der Schnellschusswaffe nicht will, dass wir hier parken. Nach etwas hin und her geben wir uns geschlagen. Es ist Mitternacht und wir müssen einen neuen Platz suchen. Wir sind genervt. Als wir ins Fahrerhaus einsteigen, sagt der Polizist plötzlich, dass wir doch hier schlafen könnten. Es ist uns egal, wir bedanken uns und hauen schnell ab.
Insgesamt werden wir 15 Polizeikontrollen über uns ergehen lassen müssen, allein 7 davon auf dem Weg von Zahedan nach Bandar Abbas. Nahe der Wüste Kavir im Nordosten des Landes dauert die Passkontrolle extrem lange. Unsere Pässe werden ständig vor- und zurückgeblättert, fast so als wolle man etwas finden. Ob wir aus Aserbaidschan eingereist seien? Nein. Es werden Notizen in einem Buch gemacht. Gern fotografiert man auch unsere Pässe samt Visum. Auf die Frage, was los ist, bekommt man nie eine Antwort. Wenn man sich den deutschen Reisepass so anschaut, wird schnell klar, dass Ausländer nichts damit anfangen können. Warum steht in einem Reisepass (!) alles auf Deutsch? Mit „Deutsch“ als Staatsangehörigkeit kann niemand etwas anfangen. Als wir ein paar Kilometer in der Kavir-Wüste nur wenige Meter abseits der Straße fotografisch auf Dromedarjagd gehen, hält plötzlich ein Polizeiwagen neben uns, obwohl wir noch gar nicht stehen! Der Polizist will wieder einmal unsere Pässe sehen. Woher wir sind? Wohin wir wollen? Wir überlegen schon, das Land schnellstmöglich wieder zu verlassen. Die Schmerzgrenze war bei der 6. unangenehmen Polizeikontrolle innerhalb der ersten 8 Tage definitiv erreicht.
Über Hamedan, Qom und unterhalb von Teheran fahren wir Richtung Seidenstraße. Wir sind schockiert über die Lebensumstände im Iran. Man sieht von Reisenden immer nur bildhübsche Paläste, schönste Landschaftsaufnahmen. Aufgrund der Berichte und Fotos hatten wir bereits ein fertiges Bild vom wunderschönen, bunten, verspielten, romantischem Persien im Kopf.

Aber das tatsächliche Iran haben wir anders wahrgenommen. Verarmte Menschen in teilweise verfallenen (Lehm-)Hütten oder Zelten, die nur aus einem Raum bestehen. Mensch und Tier leben auf engstem Raum miteinander. Müll fliegt überall herum. Nach Albanien und Türkei ist Iran das dritte Land mit einem Müllproblem. Und das liegt nicht daran, dass es keine Mülltonnen gibt. Vielmehr schmeißen die Menschen achtlos ihren ganzen Müll in die Natur! Was da an Mülltüten allein auf den bewirtschafteten Feldern liegt; es blutet einem das Herz. Die kleinen Miniläden an der Straße laden nicht zum Einkaufen ein. Niemand macht sich die Mühe, Ordnung zu halten. Überall, ob innerhalb oder außerhalb der Ortschaften, werden lauter kleine Häufchen aus Schutt, Erde, Sand, Kies, Müll oder was auch immer gebildet. So entsteht das Bild einer endlosen Müllhalde und niemanden scheint es zu kümmern, niemand stört sich daran. Nur in den Wüsten und in den Canyons (dort wo sich weniger Menschen bewegen) finden wir schöne, saubere und faszinierende Natur.

Unser weiterer Routenverlauf: Wir fahren im Osten des Iran von Sabsevar durch die Kavir-Wüste über Tabas nach Yazd. In Kerman biegen wir nach Shahdad ab um von dort in die Wüste Lut zu fahren. Über Nehbandan fahren wir an der Afghanischen Grenze nach Zahedan um schließlich nach Bandar Abbas zu gelangen. Die typische Route über Shiraz und Isfahan im Westen Irans werden wir auf der Rückreise nehmen.