Das Problem mit der fehlenden Migrationskarte

Wenn man mit einem Visum nach Russland einreist, bekommt man immer … IMMER eine Migrationskarte, eine Art Registrierungszettel, den man auf gar keinen Fall verlieren darf. Nur wir nicht. Irgendwie haben wir es geschafft, ohne diesen so wichtigen Zettel nach Russland einzureisen. Normalerweise wird an der Grenze ja alles doppelt und dreifach kontrolliert. Bei uns wurde weder das Vorhandensein einer Haftpflichtversicherung überprüft, noch dieses ominöse Kärtchen. Diese Registrierung ist Pflicht bei der Grenzüberschreitung und dient der Registrierung des Visums. Im Hotel in Sankt Petersburg schüttelten die Herrschaften an der Rezeption ungläubig den Kopf, als man uns nach diesem Zettelchen fragte und wir schulternzuckend vor ihnen standen: Unmöglich! Das könne gar nicht sein! Das ginge nicht ohne! Später haben wir erfahren, dass es für Hotel und Campingplätze Ärger gäbe, wenn sie keine Kopie eines solchen Registrierungszettel vorgelegen können. Das Hotel füllte trotzdem eine Art Anwesenheitszettel aus, den man in allen Unterkünften bekommt, für den sich jedoch niemand mehr interessieren wird.

Heute ist unser Abreisetag aus Moskau. Gestern Früh kam Michael, Chef des Campingplatzes, zu uns und fragte nach der Migrationskarte; wir können ihm nichts geben außer unseren Pässen und der Zollbescheinigung fürs Fahrzeug. Er runzelte die Stirn. Das wär‘ ja gar nicht gut! Er müsste zur Migrationsbehörde und das klären. Oh je, dachten wir… Nach einem wundervollen Tag in Moskau kamen wir mitten in der Nacht zurück und fanden Michaels Notiz an unserer Tür: wir sollen zur Rezeption kommen. Oh jeee…. Doch so schlimm?

Wir stehen nun also an der Rezeption, als Michael uns erklärt, dass wir zur Polizei müssten. Alex nickt, sagt „Ok!“ und will los. Michael lacht. Wie wir uns das vorstellen? Alleine könnten wir das nicht, er würde uns begleiten. Wär‘ nicht weit weg, er würde uns fahren. 

Wir halten vor einem türkisfarbenen Gebäude, das wir NIEMALS für ein Polizeigebäude gehalten hätten, insbesondere weil jegliche Bezeichnung fehlt! Das hätten wir allein niemals gefunden. Wir sind schon froh, Michael dabeizuhaben.

Michael läuft zielsicher in den rechten Eingang des Gebäudes und die verwundenen Gänge im Gebäude entlang, weil er öfter hier ist und sich Stempel abholt für die Touristen, die sich auf seinem Campingplatz aufhalten. Wir dackeln hinterher. Schließlich stehen wir in einem kleinen Büro, das sich drei Mitarbeiter teilen. Das, was unser Ansprechpartner zu Michael sagt, hört sich in unseren Ohren ziemlich ernst und böse an, er schüttelt den Kopf und schickt uns weg, aber eigentlich sagt er nur, dass wir zur Polizei müssten, um eine Anzeige aufzugeben. Ich bin verwirrt: Polizei? Ich dachte, da seien wir schon. Michael klärt auf: das ganze Gebäude sei Polizei, aber mit verschiedenen Abteilungen. Aha. Wir müssen also wieder raus und zum anderen Eingang. Im Grunde könnte man ja auch hinten durch den Hof gehen, das wäre kürzer, aber das dürfen nur Angestellte.

Wir müssen in den linken Eingang des Gebäudes. Hier müssen wir klopfen und dürfen nicht einfach so hinein. Michael sagt was wir wollen und ein Wachposten mit Gewehr öffnet die Tür. Unser Anliegen und unsere Passnummern werden in ein Büchlein am Eingang eingetragen. Dann dürfen wir ins Gebäude. Hinter einer Glaswand sitzen zwei Polizisten. Michael erklärt dem Polizisten, dass wir unsere Migrationszettel verlustig melden müssten, damit wir im Migrationsamt neue bekämen. Wir bekommen vom Polizisten zwei Anzeigeformulare (für jeden eins) und ein Beispielformular, wie die Anzeige auszufüllen sei. Alles auf Russisch. Michael schreibt an einem kleinen Tisch den ganzen Text vom Beispielformular ab. Zweimal. Und für jeden muss er schreiben, wann und wo wir das letzte Mal den Zettel gesehen haben (tja, wann? Wir geben einfach an: vorgestern im WoMo). Dann müssen wir schreiben, wann, wie und wo es zum Verlust gekommen ist; also quasi eine Wiederholung von Blatt Nr. 1. Er trägt unsere Namen, Geburtsdaten usw ein. Er will wissen, was wir beruflich machen. Gute Frage! Nix! Ja, das würde er so lieber nicht schreiben. Er schlägt „Manager“ vor. Ja, das passt irgendwie. Wir managen ja schließlich jeden Tag irgendwas und das klingt so furchtbar wichtig. Wo wir denn arbeiten? Das ist schon schwieriger. Michael sagt, das sei alles egal, es wäre alles nur für’s Formular. Wahrscheinlich kann man dann auch schreiben, dass man Manager der Märchenwald A.G. ist, denke ich während wir überlegen. Aber ein bisschen plausibel sollte es dann schon sein. Wir denken uns also Firmennamen aus, geben unsere Heimatadresse und Telefonnummer, die niemand anrufen wird, an, müssen schließlich viermal unterschreiben. Wir müssen auch unterschreiben, dass wir die Anzeige selbst geschrieben haben. Ich muss schmunzeln, als ich meinen Namen druntersetze.

Wir stehen wieder vor dem Polizisten hinter der Glasscheibe. Er liest sich unsere Anzeigen genauestens durch. Er guckt ziemlich ernst als er mit Michael etwas diskutiert. Ich habe ein bisschen Angst, dass der Polizist unsere Angabe zu unseren Berufen bezweifelt. Laut Anzeige arbeiten wir schließlich doch beide als Manager in derselben Firma. Michael klärt uns auf: Ob wir Euskirchen kennen würden? Ja! Der Polizist hätte gefragt, ob wir für ihn ein Päckchen mit nach Euskirchen nehmen könnten, ein Freund von ihm würde da wohnen. Ein kleiner Scherz vom Polizisten. Es dauert etwas, bis er unsere Unterlagen studiert hat und dann zum einen unsere Anzeige in einem großen Buch zur Registrierung einträgt und zum anderen uns eine Bestätigung für die Migrationsbehörde gibt. Er lächelt sogar! Wir haben gelernt, dass Männer und vor allem Polizisten und ähnliche Sicherheitskräfte nicht lachen, weil man Angst und Respekt vor ihnen haben soll! Überhaupt lächelt man in Russland nicht, deshalb laufen alle Menschen dort mit einem sehr ernsten Gesichtsausdruck rum. Man lacht nur jemanden an, den man mag oder mit dem man in engerer Beziehung steht. Gut zu wissen. Wir nehmen jeder unseren Kassenbon und gehen.

Wir müssen wieder einmal ums Gebäude und zum anderen Eingang. Zurück im Büro in der Migrationsbehörde: Die Daten aus den Pässen werden auch hier nochmals übernommen. Wir müssen wieder einen Zettel unterschreiben. Michael verabschiedet sich; er sei in 10 min wieder da. Dann werden Fingerabdrücke genommen: mit einer kleinen Rolle werden die Fingerkuppen wie beim Tapezieren mit Farbe angemalt. Abdrücke sämtlicher Fingerkuppen von beiden Händen werden genommen. Die Abdrücke beider Daumen werden nochmal extra genommen. Das reicht aber nicht. Nach den Fingerkuppen sind sämtliche Finger dran. Alles wird angemalt und abgedrückt. Aber auch das reicht noch nicht! Jetzt werden beide Handflächen bemalt und abgedrückt. Danach ist alles schwarz. Ich frage den Mann, ob jetzt mein Gesicht dran sei. Er lacht. Er fragt, ob wir Fotos machen wollen. Wir schauen ihn erstaunt an. Ich hatte die ganze Zeit heimlich Fotos gemacht, sobald er sich zum Fotokopieren umgedreht hatte, in der Befürchtung, das sei mega verboten. Nein, das wäre überhaupt kein Problem. Also machen wir Fotos. Ich frage mich, wie ich meine Hände wieder sauber bekomme; ich habe sonst immer Taschentücher dabei, nur heute nicht, ausgerechnet. Alex ist dran, bis auch er ganz schwarz ist. Dann steht plötzlich Michael wieder in der Tür. Er hat Feuchttücher für uns dabei! Der Mann ist super. Wir bekommen einen Zettel mit einer Bestätigung, die wir nicht lesen können und müssen unterschreiben. Jetzt füllt der Mann unsere Migrationszettel händisch in zweifacher Ausfertigung aus, knallt insgesamt 5 (!) Stempel auf jedes der Migrationskärtchen (wie in China sind Stempel auch in Russland total beliebt; wir haben schon überlegt, selber einen Stempel mit unserem Logo anfertigen zu lassen, damit wir auch stempeln können, kommt bestimmt gut) und überreicht sie uns. Jetzt, nach 1 1/2 Stunden (das ging schneller als gedacht; sogar Michael ist angenehm überrascht), ist die Welt wieder in Ordnung. Michael ist glücklich und fertigt uns auch noch einen „Anwesenheitszettel“ aus, bevor wir fahren. Wir sind auch froh, obwohl wir uns schon fragen, was wohl passieren würde, wenn wir ohne die Kärtchen an der Grenze bei der Ausreise stünden. Na ja, vielleicht ist das alles ganz gut so und wir ersparen uns Diskussionen.

Übrigens, wir haben noch ein paar interessante Dinge von Michael erfahren:

1) Polizisten in Russland dürfen nicht ins Ausland reisen; das sei per Gesetz verboten.

2) Russen dürfen keine russischen Lebensmittel ausführen; noch nicht mal Schokolade. (Wir sollten vielleicht besser lieber wieder alles aufessen vor der Grenzüberschreitung)

3) Die Serie „Alarm für Cobra 11“ gab es bis vor zwei, drei Jahren sogar im Russischen Fernsehen mit russischer Synchronisation. Michaels Lieblingsserie. Aber seit zwei, drei Jahren gibt es die Serie im Russischen Fernsehen nicht mehr. Keiner weiß, warum.

4) Putin plant eine Straßenmaut für alle, also auch für Einheimische, was die aber doof finden. Kfz-Steuer ist total günstig (Mittelklassewagen ca. 8-9€ pro Monat, bei derzeitigem Kurs 1:70), Versicherung auch (um die 5€ pro Monat, bei derzeitigem Kurs 1:70)

Wo wir schon dabei sind: der Sprit ist momentan sehr günstig: 35 Rubel/Liter! Da der Rubel so stark schwächelt sind derzeit aber auch Lebensmittel ziemlich günstig für uns. Eine Wohltat nach dem teuren Skandinavien.


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